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„Echt, MS!“ – für die Freundschaft kein Hindernis!

Olli und Torsten beim Konzert von The BossHoss

Torsten kennengelernt habe ich 2003 durch gemeinsame Bekannte. Damals war eine Krankheit bei ihm direkt ersichtlich, sowohl durch seinen Rollator als auch die unflüssigen Bewegungen. Durch die eigene Scham und weil ich ja auch niemanden zu nahe treten wollte, fragte ich anfangs nicht nach der Art seiner Krankheit.

Nach mehreren zufälligen Treffen in unserer Clique wuchs dann doch die Sympathie und man entdeckte Gemeinsamkeiten. Irgendwann fasste ich dann auch den Mut, ihn mal genauer nach seiner Krankheit zu fragen, was mir durch Torstens Offenheit und den Umgang mit seiner Behinderung dann auch leichterfiel. Er sagte mir dann, dass es sich um MS handelt.

Echt. MS?

Der erste Gedanke, der mir kam – wie wahrscheinlich vielen anderen auch: „MS, das ist doch Muskelschwund.“ Torsten wies mich dann allerdings direkt auf mein Fehldenken hin und erklärte mir auch ein wenig mehr. Eigentlich war die Krankheit aber sonst kein großes Thema bei uns.

Im Herbst 2004 starb Torstens Mutter. Mir fielen in der darauffolgenden Zeit häufiger Situationen auf, in denen ich das Gefühl hatte, dass Torsten physisch abbaute. Ich schob es erstmal auf die Trauer und dachte mir, das wird schon wieder. Bis zu dem Punkt hatte ich noch keine Erfahrungen mit Schüben der MS gehabt. Ich hatte zwar schon einiges darüber gelesen und auch Torsten erzählte davon, aber um das Ganze als so einen zu deuten, fehlte mir einfach die Kenntnis. Die Lebensgefährtin meines damaligen Chefs, selber „MSlerin“ und auch flüchtig mit Torsten bekannt, brachte mich dann auf die richtige Spur. Sie klärte mich dann auch darüber auf, dass Schübe oft durch Stress ausgelöst werden.

Die Trauer ließ mit der Zeit nach, aber Torstens Zustand besserte sich nicht. Dies ging dann auch so weit, dass Torsten dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen war.

Bis dahin gab es für uns eigentlich keine nennenswerten Einschränkungen in unseren Freizeitaktivitäten. Das änderte sich jetzt.

„Der kurze Besuch in der Eckkneipe?“

  • Ne, geht ja nicht, 5 Stufen zum Eingang.

„Mal eben mit dem Zug zum Konzert oder Festival?“

  • Nicht ohne frühzeitige Anmeldung bei der Bahn.

„Mal eben an den nächsten See zum Schwimmen?“

  • Ging nicht, da kein befestigter Weg.

„Auf unserer Heimatkirmes (Allerheiligenkirmes Soest, unsere 5. Jahreszeit) mal eben ins Karussell?“

  • Fehlanzeige.

Aber wir lassen uns den Spaß ja nicht verderben!

Fury Konzert in Dortmund
Autoscooter mit dem Rollstuhl

Zum Beispiel konnten wir jetzt wieder, zusammen mit meinen Bekannten, auf Maiwanderung gehen. Irgendwer fand sich schon zum unterstützenden Schieben. Das Fußball-Rudelgucken wurde einfach zu einem anderen Freund verlegt, der ebenerdig wohnte. Durch Torstens offenes Wesen war sein Handicap auch nie ein großes Thema in meinem Bekanntenkreis, welcher inzwischen unser gemeinsamer ist.

WM 2014, Torsten in seinem Deutschland-Rollstuhl

Die Zeit verging, körperlich blieb bei Torsten alles beim Alten. Allerdings wurden unsere Gespräche schwieriger, denn Torsten vergaß viel, und auch die passenden Wörter fand er oft nicht mehr. Die Wortfindungsstörungen, die im Verlauf der MS auftreten können, verlangen dem Gegenüber oft viel Geduld ab.

2014 kam dann ein neues Kapitel in meinem Leben, mein erstes Kind wurde geboren! Der Kontakt mit Torsten blieb, wenn auch öfter mal per Telefon oder durch Besuche seinerseits auf meiner Arbeit, aber das änderte nichts an unserer Freundschaft.

Irgendwann kam dann bei meiner Frau und mir der Punkt „Patenschaft“ auf die Tagesordnung. Torsten als bester Freund war dann natürlich eine Option, aber als Eltern macht man sich ja doch viele Gedanken und sieht vieles in Bezug auf die Kinder sehr rational.

„Wie lang ist er noch fit?“

„Kommt er mit der Verantwortung klar?“

Also „Frontalangriff“ und mit Torsten zusammengesetzt. Torsten war erst erstaunt über die Frage, lehnte dann aber aus ähnlichen Bedenken dankend ab.

Nun haben wir inzwischen 2018, ich habe Kind Nummer zwei und Torsten sitzt genauso häufig wie früher vergesslich in seinem Rollstuhl neben mir.

Torsten mit Olli seinem zweiten Kind auf dem Arm

Was hat Torstens MS mir gebracht?

Definitiv bin ich durch den Umgang mit ihm geduldiger geworden. In vielen Situationen sehe ich das Leben mit anderen Augen, aber nicht kritischer, sondern eher gelassener, und stelle auch mal Wünsche vor Pflichten.

Wann beeinträchtigt mich Torstens MS?

Es gibt für mich keine wirklichen Beeinträchtigungen. Ich denke, es kommt immer darauf an, wie man auf den anderen eingeht. Die evtl. eingebüßte Mobilität und die damit verbundene mangelnde Spontaneität waren und sind für mich Nebensächlichkeiten.

Für die Zukunft wünsche ich mir noch unzählbare gesellige Stunden mit Torsten, egal welche Steine uns die MS in den Weg legt.

MAT-DE-2400244-1.0-01/2024